Inhaltsstoffe in Kosmetik: gut oder böse?
Keine Angst vor Chemie!
Weder bei Kosmetikprodukten, noch bei Blogeinträgen. Du kriegst schon beim Anblick dieser Kritzeleien das blanke Grauen, da du Chemie in der 9. Klasse abgewählt hast? Ich erkläre alles, was du zu Strukturformeln wissen musst, um diesen Beitrag zu verstehen in einem Absatz:
Chemie ist wie ein Lego-Baukasten. In der organischen Welt der Chemie (quasi alles was mit Biomasse zu tun hat) besteht Materie hauptsächlich aus Kohlenstoff C und Wasserstoff H. Da sie so häufig vorkommen und Chemiker faul sind (sorry, effizient!), werden diese im Bauplan abgekürzt. Alle Striche der Strukturformeln sind einfach Kohlenstoffgerüste mit Wasserstoff dran. Nur wenn außergewöhnliche Elemente hinzukommen, wie z. B. Sauerstoff O, werden diese explizit erwähnt (Vorsicht Fachbegriff: Hetero-Atome).
Über Bausteine und Arme
Es gibt außerdem ein paar „Fertig-Bausteine“, wie man sie nennen kann. Feste Strukturen, die immer wieder auftauchen. Das Sechseck mit den drei Strichen in der Mitte sieht man sehr häufig. Dieser Baustein macht ein Molekül zu einem sogenannten „Aromaten“. Auch so ein „Arm“ wie -OH ist eine kleine funktionelle Gruppe, die sehr oft in dieser Konstellation vorkommt. Alle Alkohole haben mindestens eine -OH Gruppe.
Same same but different: Salicylsäure VS Parabene
Also ja, diese zwei Stoffe sind sich auf dem Papier ähnlich. Auch bei den chemischen Namen 2-Hydroxybenzoesäure und 4-Hydroxybenzoesäure unterscheidet sich nur die Zahl am Anfang (sagt etwas über die Position der „Arme“ aus).
Was haben die beiden Chemikalien jetzt mit Hautpflege zu tun?
- Parabene sind höchst effektive und vergleichsweise sehr hautverträgliche Konservierungsstoffe. Sie verhindern den Wachstum von gefährlichen Bakterien und Pilzen im Produkt. Parabene sind bereits in geringsten Konzentrationen wirksam. Will man auf sie verzichten, muss man ggf. viel Alkohol hinzugeben, um wässrige Produkte weniger anfällig zu machen für mikrobiellen Verderb. Alternativ müsste man weniger effektive Konservierungsmittel in höheren Konzentrationen einsetzen.
- Salicylsäure war bei mir persönlich der Gamechanger bzgl. Unreinheiten. Ein fettlösliches chemisches Peeling. Salicylsäure wirkt übrigens ebenfalls konservierend und ist auch als Konservierungsmittel zugelassen. Das wird nur meistens nicht hervorgehoben. Werbung mit Konservierungsstoffen zieht halt nicht.
Grundsätzlich haben ähnliche Moleküle oft ähnliche Eigenschaften. Die Giftigkeit von Stoffen ist jedoch sehr schwer anhand der Strukturformel vorherzusagen. Dafür gibt es unterschiedliche Test-Formen.
- In vitro: „Im Reagenzglas“ mit verschiedensten Messmethoden.
- In vivo: Versuch am lebenden Objekt. Historisch oft vorgeschrieben mit Ratten.
- In silico: Eine neue Wissenschaft für sich. Modellberechnungen mit Hilfe von Computern und Data Science.
Je niedriger die mittlere letale Dosis (LD50-Wert), desto giftiger der Stoff (eine kleinere Menge reicht für eine tödliche Dosis aus).
Die Dosis macht das Gift
Giftigkeit ist ein sehr relativer Begriff. Man kann es nicht oft genug betonen: die Dosis macht das Gift! Alles kann ab einer bestimmten Dosis giftig sein. Auch Wasser oder Sauerstoff.
Die Vorhersage mithilfe von Computer-Modellen ist ein ganz eigenes anspruchsvolles Fachgebiet. Seitdem ich in der Chemie tätig bin, lassen wir für jedes neue Molekül im Labor einen In Silico Tox Bericht erstellen. Vor 5 Jahren, wenn ich mit den Computational Chemists gesprochen habe, gab es noch große Unsicherheiten bei der Zuverlässigkeit. Aber schon heute hegt man größeres Vertrauen, dank neusten Deep Learning Methoden oder Neuronalen Netzwerken (selbstlernende künstliche Intelligenz). Die Naturwissenschaften sind auch heute noch voller Geheimnisse, deren Zusammenhänge es sich zu erforschen lohnt!
Die Gefährlichkeit von Stoffen ist für alle gängigen Chemikalien definiert anhand sogenannter Gefahrensymbole. Es gibt jedoch kaum einen Zusammenhang zwischen den tatsächlichen Daten und der öffentlichen Wahrnehmung in der Kosmetik-Welt. Das haben wir schon am Beispiel Salicylsäure und Parabene gesehen. Es hängt sehr vom aktuellen Marketing ab, welche Stoffe gerade als „gut“ oder „böse“ wahrgenommen werden. Substanzen, die uns nachweislich in Kosmetika schaden würden, sind jedoch sowieso durch die EU Verordnung verboten.
Retinol z. B. ist äußerst beliebt unter den Wirkstoffen in der Hautpflege. Es ist ein Multi-Talent und wird von vielen Herstellern beworben. Als Chemikalie ist Retinol als „gesundheitsschädlich“ gekennzeichnet. Natürlich kein Grund zur Panik bei den geringen Mengen in Kosmetika. Im Gegenteil, ich liebe die positiven Wirkungen von Retinol!Es wäre mal ein spannendes Experiment Produkte mit „ohne Retinol“ zu bewerben und die Kunden danach zu befragen, was sie denn von Retinol in Hautpflege halten.
Wirst du heute Abend dein Retinol-Serum mit anderen Augen sehen? Sorry! Aber dafür haben wir vielleicht etwas an Kompetenz gewonnen in Zukunft solches Marketing einordnen zu können. Nur weil ein Hersteller mit „ohne xy“ wirbt, musst du nicht deine Favoriten entsorgen, die du gut verträgst, aber diese Inhaltstoffe enthalten. Manchmal scheint es, als sehen sich die Marken gezwungen damit zu werben, weil es alle tun. Ein Teufelskreis. Oft sind die vermeintlichen „Alternativen“ eben nicht besser.
Kosmetische Inhaltsstoffe sind also entweder erlaubt oder verboten. Sie sind reguliert. Marketing entscheidet nicht darüber, sondern ein wissenschaftliches Gremium. Die Frage nach pauschal gut oder böse ist demnach bei Inhaltsstoffen nicht zielführend. Wenn, dann geht es um individuelle Vorlieben, Werte und Verträglichkeiten.
Ihr findet Ying übrigens als @die_skingenieurin hauptsächlich auf Instagram, wo sie euch möglichst verständlich und voller Leidenschaft die Welt der Chemie näher bringt. Vorbeischauen lohnt sich!